Wenn die Stirn kracht - Fuball und Poesie eine ungute 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-21

Einsam stand der Dichter im Tor, doch der Schieds­richter pfiff: Abseits.“
(Günter Grass)

Albert Oster­maier ist 40 Jahre alt und Dichter von Beruf. Außerdem hütet er das Tor der deut­schen Lite­raten-Natio­nal­mann­schaft. Das scheint seinen Gedichten nicht gut zu bekommen. Sein jüngstes lite­ra­ri­sches Werk ist die Ode an Scholl“, ein lyri­scher Dank­got­tes­dienst für Mehmet Scholl. Mit 36 Jahre und den Worten Ich bin jetzt weg“ hat Scholli“, der Wind­hund unter den Profis, am 19. Mai 2007 Abschied vom bezahlten Fuß­ball genommen. Tags darauf dich­tete Albert Oster­maier in der Süd­deut­schen Zei­tung:

unter seinen stollen werden / die gras­narben zu plat­ten­rillen / was er spielt ist musik“.

Als Tor­wart einer Schrift­steller-Elf hat man viel, viel­leicht allzu viel um die Ohren. Nicht immer sind es die besten Ein­flüsse, denen man dabei aus­ge­setzt ist. Das wusste schon der große End­zeit-Dichter Rainer Maria Rilke:

Sein Blick ist vom Vor­über­ziehn der Bälle
So blind geworden, dass er nichts mehr sieht“.

Aber nicht nur sein Auge, auch Oster­maiers zere­brales Ver­mögen scheint erheb­lich gelitten zu haben, denn so schreibt er weiter über Scholl:

er trifft in den winkel der netz­haut“Warum trifft der Blöd­mann das Tor nicht?“, hatte schon Co-Trainer Henke geklagt;

mit seinen vers­füßen / schreibt er auf den rasen ein gedicht“
– Das macht nur ein Spieler, der um seine Aus­wechs­lung bet­telt und von der Rache des faschis­to­iden Platz­warts keine Vor­stel­lung hat;

er steht / abseits ohne im abseits / zu stehen“
– Warum so kom­pli­ziert, wenn man es auch ein­fa­cher sagen kann: pas­sives Abseits“, nichts anderes ist gemeint;

er schlägt pässe in die lauf­wege des glücks“ – Im Kom­mentar des Trai­ners hört es sich anders an: Auf gut Glück drosch er die Bälle nach vorne und betete zum Fuß­ball­gott, dass der uner­müd­liche Elber noch vor der Tor­aus­linie zur Stelle sei, was oft genug daneben ging.“

Wenn Dichter sich ins Tor stellen, gehen sie ein hohes Risiko ein. Gerade der Tor­hüter läuft mehr als jeder andere Spieler Gefahr, sich um den Ver­stand zu spielen. Rainer Maria Rilke hat das bereits 1902 hell­sichtig erkannt. In seinem Gedicht Der Pan­ther“ – eine Kose­namen, der seither für den Tor­hüter geläufig ist – schreibt der Meister:

Die Stirn ist schon vom Stets-ins-Leere-Fliegen,
Vom Auf­prall, wenn sie an den Pfosten kracht,
Vom Wund-und-blutig-am-Elf­meter-Liegen
Unnennbar flie­hend und sehr abge­flacht.“

Albert Oster­maier scheint es also erwischt zu haben. Er, der einst Anlass zu den schönsten lite­ra­ri­schen Hoff­nungen gab, hat sein Talent dem Fuß­ball geop­fert. Möge wie­derum Rilke ihn trösten: Wer spricht vom Siegen? Über­stehn ist alles.“

Mit seiner Ode an Scholl“ ist es Oster­maier immerhin gelungen, den in die Jahre gekom­menen Spieler zu einer Ände­rung seines nicht unum­strit­tenen Credos zu bewegen. Hängt die Grünen auf, solange es noch Bäume gibt!“ war Jung-Meh­mets Ant­wort vor 15 Jahren, als man ihn nach seinem gesell­schafts­po­li­ti­schen Leit­motiv gefragt hatte. Heute, so hören wir aus Mün­chen, möchte Alt-Mehmet, der inzwi­schen eine Pho­to­vol­ta­ik­an­lage auf dem Dach seiner Villa hat, den Anlass des Gedichts nutzen, um die Grünen“ zu strei­chen und durch die Dichter“ zu ersetzen.

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