Wenn die Stirn kracht - Fuball und Poesie eine ungute 11FREUNDE
„Einsam stand der Dichter im Tor, doch der Schiedsrichter pfiff: Abseits.“
(Günter Grass)
Albert Ostermaier ist 40 Jahre alt und Dichter von Beruf. Außerdem hütet er das Tor der deutschen Literaten-Nationalmannschaft. Das scheint seinen Gedichten nicht gut zu bekommen. Sein jüngstes literarisches Werk ist die „Ode an Scholl“, ein lyrischer Dankgottesdienst für Mehmet Scholl. Mit 36 Jahre und den Worten „Ich bin jetzt weg“ hat „Scholli“, der Windhund unter den Profis, am 19. Mai 2007 Abschied vom bezahlten Fußball genommen. Tags darauf dichtete Albert Ostermaier in der Süddeutschen Zeitung:
„unter seinen stollen werden / die grasnarben zu plattenrillen / was er spielt ist musik“.
Als Torwart einer Schriftsteller-Elf hat man viel, vielleicht allzu viel um die Ohren. Nicht immer sind es die besten Einflüsse, denen man dabei ausgesetzt ist. Das wusste schon der große Endzeit-Dichter Rainer Maria Rilke:
„Sein Blick ist vom Vorüberziehn der Bälle
So blind geworden, dass er nichts mehr sieht“.
Aber nicht nur sein Auge, auch Ostermaiers zerebrales Vermögen scheint erheblich gelitten zu haben, denn so schreibt er weiter über Scholl:
„er trifft in den winkel der netzhaut“ – „Warum trifft der Blödmann das Tor nicht?“, hatte schon Co-Trainer Henke geklagt;
„mit seinen versfüßen / schreibt er auf den rasen ein gedicht“ – Das macht nur ein Spieler, der um seine Auswechslung bettelt und von der Rache des faschistoiden Platzwarts keine Vorstellung hat;
„er steht / abseits ohne im abseits / zu stehen“ – Warum so kompliziert, wenn man es auch einfacher sagen kann: „passives Abseits“, nichts anderes ist gemeint;
er „schlägt pässe in die laufwege des glücks“ – Im Kommentar des Trainers hört es sich anders an: „Auf gut Glück drosch er die Bälle nach vorne und betete zum Fußballgott, dass der unermüdliche Elber noch vor der Torauslinie zur Stelle sei, was oft genug daneben ging.“
Wenn Dichter sich ins Tor stellen, gehen sie ein hohes Risiko ein. Gerade der Torhüter läuft mehr als jeder andere Spieler Gefahr, sich um den Verstand zu spielen. Rainer Maria Rilke hat das bereits 1902 hellsichtig erkannt. In seinem Gedicht „Der Panther“ – eine Kosenamen, der seither für den Torhüter geläufig ist – schreibt der Meister:
„Die Stirn ist schon vom Stets-ins-Leere-Fliegen,
Vom Aufprall, wenn sie an den Pfosten kracht,
Vom Wund-und-blutig-am-Elfmeter-Liegen
Unnennbar fliehend und sehr abgeflacht.“
Albert Ostermaier scheint es also erwischt zu haben. Er, der einst Anlass zu den schönsten literarischen Hoffnungen gab, hat sein Talent dem Fußball geopfert. Möge wiederum Rilke ihn trösten: „Wer spricht vom Siegen? Überstehn ist alles.“
Mit seiner „Ode an Scholl“ ist es Ostermaier immerhin gelungen, den in die Jahre gekommenen Spieler zu einer Änderung seines nicht unumstrittenen Credos zu bewegen. „Hängt die Grünen auf, solange es noch Bäume gibt!“ war Jung-Mehmets Antwort vor 15 Jahren, als man ihn nach seinem gesellschaftspolitischen Leitmotiv gefragt hatte. Heute, so hören wir aus München, möchte Alt-Mehmet, der inzwischen eine Photovoltaikanlage auf dem Dach seiner Villa hat, den Anlass des Gedichts nutzen, um „die Grünen“ zu streichen und durch „die Dichter“ zu ersetzen.
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWenmruvecOinGarpJ6%2Fr3nKq5icoKRkgHaDl25w